Zurück zu Texte?

Dramen ohne Ende

 

 

Christian Sachse

 

„Dramen sind nicht die Marmelade auf dem Frühstücksbrötchen. Dramen sind der Pfeffer in der Fischsuppe.“ Dies sagte mir ein japanischer Fischer, der mich mit seinem kleinen Boot auf die russisch besetzten Skurrilen übersetzen wollte. Wir wurden beschossen und entkamen mit knapper Not. Aber das ist eine andere Geschichte. In Dramen geht es nicht um Hartz IV oder um Kaugummi. Es geht um die drei großen „L“: Leben, Liebe und Tod. Fragmente sind Dramen, deren Fragen nicht einmal gestellt sind. Der Autor hat keine Fragen gestellt, aber er hat wie der obige Fischer, der Pfeffer mit Marmelade verglich und noch heute Netze ins Meer stellt, Fragmente ins Internet gefischt. Welch ein Mut! Ja, was wäre der Pfeffer ohne die Suppe? Oder anders gefragt: Was wären wir ohne uns? Dramen ohne Ende...

          I.     Fragment

Aschenputtel und Rockefeller

 

ASCHENPUTTEL: Ach, Rockefeller, ich liebe Dich mit all' deinem Reichtum, deinen Palästen und den Hütten der Armen, die auch dir gehören. Ich liebe dich in der Fülle deines Reichtums und deiner Macht. Aus deinen Augen strahlen die Diamanten, die du in den Safes der Schweizer Banken eingeschlossen hast. Ein Wink mit deinem kleinen Finger und du stürzt ganze Völkerschaften in den Hungertod.

 

ROCKEFELLER: Was ist das Leben? Gleicht es nicht jenen scheinbar unnützen Dollar-Blüten, die in Umlauf sind? Hergestellt in irgendeiner Fälscherwerkstatt, oder - o Verkehrung der Schöpfung - auf jenen simplen Farbkopiergeräten! Doch sie haben Wert. Hundert Dollar sind hundert Dollar wert. Du kannst sie eintauschen in andere hundert Dollar, in Escudos, D-Mark, französische Francs, in einen alten Kühlschrank, in eine Flasche vortrefflichen Weins. Ja, du kannst sogar einen Armen damit glücklich machen. Doch wehe, wenn jemand entdeckt, dass diese Scheine gefälscht sind. Dann stürzt ihre erhabene Größe ins Nichts. Dann sind hundert Dollar plötzlich zwei Cent wert. Du bekommst nicht einmal eine Cola dafür. Und der Arme, dem du den Schein gibst, der spuckt dir dafür ins Gesicht. Aschenputtel, ich habe entdeckt, dass das Leben eine Fälschung ist, freilich eine geniale Fälschung, aber doch eine Fäschung.

 

ASCHENPUTTEL: Rockefeller, wo ist deine Sicherheit geblieben, die dir diesen Reichtum verschafft hat? Bist du alt geworden? Das Leben besteht doch darin, dass du daran glaubst, dass diese zwei Cent hundert Dollar sind. Dein Glaube wird die anderen mitreißen. Der Arme wird dich glücklich preisen, denn dein Glaube hat ihm geholfen. Er wird den falschen Schein an irgendeiner Tankstelle in zwanzig Flaschen Wein umsetzen. So hast du ihm geholfen, für zwei Wochen sein armes Los zu vergessen. Auch der Tankstellenwärter wird den Schein behutsam in die Kasse legen. Er wird den Großhändler bezahlen, der Großhändler den Weinbauern... und irgendwann landet der Schein wieder bei Dir. Zwei Cent haben eine lange Reise gemacht, haben vielen Menschen geholfen, allein, weil alle, die damit zu tun hatten, an ihren Wert glaubten. Du hast deinen Glauben verloren, Rockefeller.

 

ROCKEFELLER: Aschenputtel, mein Aschenputtel. Viele Frauen haben mir gesagt, dass sie unsterblich verliebt sind in mich. Aber sie meinten nur mein Geld. Am Anfang war ich arm wie du. Ich liebte eine kleine Geschirrabräumerin mit großen braunen Augen. Aber sie heiratete einen anderen. Der liebte sie nicht, aber er war reich. Da beschloss auch ich, reich zu werden. Ich wurde reich. Es ist leicht, reich zu werden, wenn man es nur will. Aber meine erste Liebe fand ich nicht wieder. Fortan stand das Geld wie eine undurchdringliche Mauer zwischen mir und den Frauen.

 

ASCHENPUTTEL: Sieh, Rockefeller, die Frauen liegen dir zu Füßen. Die reichsten dieser Erde reichen dir ihre Hand. Und die ärmsten liegen auf ihrem Matratzenlager in einer Wellblechhütte und träumen des nachts von Dir. Warum, Rockefeller, tun sie das? Weil ihr untrüglicher Instinkt ihnen das sagt. In deinem Reichtum sind sie geborgen, dein Geld umhüllt sie wie ein schützender Mantel. Ich liebe dich, Rockefeller, weil du reich bist, weil du mir die Geborgenheit gibst, die alle Frauen suchen.

 

ROCKEFELLER: Aschenputtel, du bist die erste, die mir sagt, dass sie mein Geld liebt.

 

Und so weiter...

 

        II.     Fragment

Faust: Prolog im Himmel II

 

1. Engel:

Die Sonne tönt nach alter Weise

in Brudersphären Wettgesang

und ihre vorgeschriebne Reise

vollendet sie mit Donnergang.

Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,

wenn keiner sie ergründen mag;

Die unbegreiflich hohen Werke

sind herrlich, wie am ersten Tag.

 

Mephisto:

Mich umzuseh'n an andern Orten,

trat just ich vor der Höllen Pforten

und werde krank und schwach sogleich,

betret ich Gottes ew'ges Reich,

das ich zu Goethes Zeit verlassen

und kann den Anblick noch nicht fassen:

Denn wer steht da in Reih' und Glied

und singt wie eh' das Schöpfungslied?

 

2. Engel:

Und schnell und unbegreiflich schnelle

dreht sich umher der Erde Pracht

Es wechselt Paradieseshelle

mit finstrer, schauervoller Nacht!

 

Mephisto:

Bei Gott! Das ist ein Leben, wie ich's mag:

Auf Tag folgt Nacht, auf Nacht folgt Tag.

Dramatisch wird der Fluß der Wochen

von einem freien Tag durchbrochen.

In etwa fünfzig machen dann ein Jahr.

Dann kommt es wieder, wie es war.

Das dreht sich als ein Karussell:

erst wird es dunkel, dann wird's hell.

Es kreiselt, flimmert und ist schön,

und bleibt stets an der Stelle stehn,

wo ER am Anbeginn der Welt

das Spielzeug einmal hingestellt.

Doch still, Gott selbst! ER kommt von oben.

so will auch ich die Schöpfung loben.

 

Gott:

Ist dir an meiner Welt denn gar nichts lieb?

 

Mephisto:

Es geht, verzeiht Herr, um's Prinzip.

Ich fänd die Schöpfung recht gelungen,

wär' nicht das Antriebswerk zersprungen.

Die Ordnung ist so festgefügt,

dass sie sich selbst nur noch genügt.

 

Gott:

Ist das der Grund für deine Trauer?

 

Mephisto:

Ihr sprecht von Schönheit und meint Dauer,

erlabt Euch an dem schönen Schein,

was schön ist, müßte ewig sein.

Schön kann nur sein, was auch zerfällt,

was sich riskiert in dieser Welt.

Nimm zum Exempel deine Ministranten,

die nie die Lust am Zweifeln kannten.

 

Gott:

Schuf Gott die Welt vollkommen rein,

Muß auch das Lob vollkommen sein.

Es gleichet sich...

 

Mephisto: Ja?

 

Gott:

...vom ersten Tag

bis hin zum letzten Glockenschlag,

der das verlöschend All durchzittert...

 

Mephisto:

Das ist es, Herr, was mich erbittert.

 

Gott:

Auch du bist ja der selbe noch

wie früher, Freund, begreife doch,

dass Widerspruch dem Lauf der Welt

am wenigsten entgegenstellt.

Bewegung bringt dein Nein im Reiche,

nur ists wie immer stets die gleiche.

Dein Nein, mein Ja sind's, was die Erde dreht.

 

Mephisto:

Ein schönes Uhrwerk, doch es steht.

Ich hätte dich an dieser Schöpfung hindern sollen.

 

Gott:

Du kannst, mein Freund, was ich nicht will, nicht wollen.

Kennst du die Goldmarie?

 

Mephisto:

Gewiß, mein Gott, ich kenne sie.

Jedoch: sie ist nicht schön, nur gut.

Ich laß sie euch, ein alter Hut.

 

Gott:

Hast Aschenputtel Du schon mal gesehn?

 

Mephisto:

Ein schönes Kind, mag sie zur Hölle gehn.

Sie zählt die Erbsen und ist fromm

und betet, dass sie in den Himmel komm.

 

Gott:

Die Sonne tönt nach alter Weise...

 

Mephisto:

Die Wette dreht sich auch im Kreise...

 

Gott:

In Brudersphären Wettgesang...

 

Mephisto:

Der Tag wird lang, die Nacht wird lang...

 

Gott:

Und ihre wunderbare Reise...

 

Mephisto:

Ein Rat, mein Gott, erhöht die Preise!

 

Gott:

...vollendet sie mit Donnergang.

Mich langweilt dieser Lobgesang.

 

Mephisto:

Der Reiz des Spiels beginnt zu sinken,

wenn nicht genügend Preise winken.

Die Seele dieser Goldmarie

- verlier ich oder hab ich sie -

ist nichts, wenn sich Millionen Seelen

bereits in meinen Feuern quälen.

Allein, wenn Gott sich selbst zum Einsatz gäbe,

erhielt das Spiel pikante Schwebe.

 

Gott:

Verliert der Gott, verliert das Sein.

Mit ihm erstürbe auch das Nein.

 

Mephisto:

Ich zahl den Preis, wie's sich gehört,

bin ich doch Geist, der selbst zerstört,

wo er sich selbst zerstören muß.

 

Gott:

Das nenn' ich einen Hinkefuß.

Was ist der Preis, wenn ich gewinne?

 

Mephisto:

Nun, wenn ich richtig mich besinne,

geht's diesmal um die ganze Welt;

so sei mein Reich das Wettegeld.

 

Gott:

Die Wette gilt. Es wird geschehn!

 

Theologisch gebildete Leser müssen wir nicht darauf hinweisen, dass diese Wette zweitausend Jahre alt ist und von Gott gewonnen wurde.

Trotzdem: Und so weiter...

 

Zurück zu Texte?