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SommerZeit

Eine Anleitung zur Umstellung der Uhren

 

Christian Sachse

 

 

Nachdem mir am Sonnabend Abend ein Nachrichtensprecher tief in die Augen gesehen und erklärt hatte, daß am Sonntag die Umstellung zur Winterzeit vorgenommen würde, was aber bedeutete, wir hätten eine Stunde mehr Zeit, beschloß ich spontan, einmal wenigstens im Leben in meinem Arbeitszimmer wirklich alle Uhren umzustellen. Ich errechnete nach kurzem Überschlag an die fünfzehn Uhren, wofür ja die gewonnene Stunde ausreichen sollte – gemeint als nützliche Investition ins Informationszeitalter. Der Computer und der Laptop erwiesen sich von Anfang an als kooperativ. Als ich sie einschaltete, fragten sie mich nur kurz, ob ich die Umschaltung akzeptieren wolle, was ich freudig mit „OK“ quittierte. Das Radio, so erfuhr ich aus der Bedienungsanleitung, bezog seine Zeitangabe irgendwo aus dem Äther und würde sich auch von selbst umstellen, was es allerdings bis Sonntag Mittag noch nicht getan hatte. So rückte ich es auf der Prioritätenliste nach hinten, um ihm eine Chance zu geben. Die Digitalkamera erwies sich als ein harter Brocken. Zunächst suchte ich meine Brille, dann vertiefte ich mich ins Menu. Dort fand ich zwar die Zeitfunktion, jedoch war die übliche OK-Taste mit irgendeiner anderen Funktion belegt. Als schwierig erwies sich, daß die Kamera die Zeit immer nur kurz nach dem Anschalten für fünf Sekunden anzeigte. Nach fünf oder sechs Versuchen war auch das geschafft. Beim Telefon wußte ich auf geheimnisvolle Weise immer noch, wie man die Zeit einstellt. Das nennt man, glaube ich, intuitive Benutzerführung. Dienst- und Privathandy waren auch kein großes Problem. Sie stammten von der selben Firma. Und als ich mich beim Privaten in die Menuführung eingefühlt hatte, ging es beim Dienstlichen in zwanzig Sekunden. Ich sah, um die vergangene Zeit zu bestimmen, auf meine Armbanduhr und drehte auch gleich dort noch am Rädchen – eine gute alte Analoguhr,  Gott sei Dank. Beim Videorecorder, den ich selten benutze, waren die Batterien der Fernbedienung verbraucht. Ausgerechnet, denn ich benutze ihn zwar nie, habe aber seine Uhr stets im Blick, wenn ich im Lesesessel sitze. Nach kurzem Überlegen, tauschte ich die Batterien von der Fernbedienung des Radios gegen die des Recorders. In diesem Fall erwies es sich, daß die ansonsten nie gebrauchte Back-Taste klemmte. Ich fand aber einen Trick, indem ich das Ding einfach um 23 Stunden vorstellte. Das Datum, so stellte ich erleichtert fest, hatte dadurch nicht gelitten. Zum Verzweifeln dagegen brachte mich der Anrufbeantworter. Es ist ja nun wirklich wichtig, ob jemand gegen 19 oder 20 Uhr von seinem Handy aus anruft: „High! Ich stehe hier vor verschlossener Tür! Waren wir nicht verabredet?“ Der Anrufbeantworter hatte eine Sprachsteuerung und ich hatte zweieinhalbe Stunde bereits mit den anderen Kandidaten verbracht. Er akzeptierte mein heiseres „Fünfzehn Uhr, zwei Minuten“ nicht. Eine gütige, wenn auch etwas mechanische Frauenstimme bat mich jedesmal: „Bitte wiederholen Sie!“ An dieser Stelle gab ich es auf, die Uhr am Thermometer und dem Ladegerät umzustellen. Beim Ladegerät tat ich das mit dem festen Vorsatz, dies noch nachzuholen, denn Akkus verzeihen es einem auf Dauer nicht, wenn sie falsch geladen werden. Dafür entdeckte ich aber einen kleinen Deckel am Anrufbeantworter. Als ich ihn aufklappte, war da unter der Reihe von niedlichen kleinen Knöpfen auch einer mit der Aufschrift „S/W“. Ich tippte auf „Sommerzeit-Winterzeit“, tippte auf den Knopf und hatte richtig getippt. Beim Faxgerät hatte ich das Paßwort vergessen, das ich aus unerfindlichen Gründen irgendwann einmal eingestellt haben mußte. Das ließ ich dann lieber bleiben, denn das Faxgerät habe ich ja nur noch, um mit einigen älteren Kollegen zu kommunizieren. Und denen kann es längst egal sein, wie spät es ist. Auch das Radio stellte sich nicht um. Soll es doch, das Display ist sowieso zu dunkel, als daß man die Uhrzeit erkennen kann. Immerhin so überschlug ich noch kurz, ehe ich zu meiner Frau in die Küche eilte, wären mir doch achtzig Prozent meiner Versuche gelungen. In der Küche stand meine Frau ratlos vor der Mikrowelle, die immer noch die Sommerzeit anzeigte. Die Küchenuhr, den Recorder im Wohnzimmer, das Radio im Schlafzimmer und den Timer der Heizung hatte sie schon umgestellt. Auch meine Tochter hatte ihren Videorecorder, ihr Handy, den Walkman, den Radio-Wecker (ach so, den habe ich im Arbeitszimmer vergessen), die Armbanduhr und den Linealrechner, ja selbst das Thermometer eigenständig umgestellt. Alles in allem ist es ein schöner und abwechslungsreicher Sonntag gewesen. Irgendwie habe ich mich auch gefreut, daß in mein Fernglas keine Uhrzeit eingeblendet wird. Das ist doch möglich oder nicht?

 

 

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Christian Sachse, Jahrgang 1954, war bis 1990 Pfarrer in der DDR, im Kreis Torgau für Seelsorge an Wehrpflichtigen zuständig und in Friedensgruppen engagiert. Mitarbeit in „Frieden ´83“, „Arbeitskreis Solidarische Kirche“ und regionalen Friedensgruppen. Gesellschaftskritisches Kabarett „Götterspeise“.